TY - JOUR
T1 - Allegorie des verdrängten Mitläufertums
T2 - Carl Merz’ und Helmut Qualtingers Herr Karl als österreichische ‚Banalität des Bösen‘
AU - Milkovits, Daniel
PY - 2023/6/20
Y1 - 2023/6/20
N2 - Mit dem Herrn Karl entwarfen Carl Merz und Helmut Qualtinger 1961 ein für die österreichische Theatergeschichte einzigartiges Volksstück in seiner „kritischen, mythenzerstörenden Abart“ (Bobinac 1992). Der Skandal, den dieses einstündige Monodrama bei seiner Erstausstrahlung im österreichischen Fernsehen auslöste, war nicht zuletzt der entlarvenden Figurenzeichnung geschuldet: Im Mitläufertum, im Opportunismus und in der Wendehalsigkeit, mit der sich der titelgebende Herr Karl durch sein Leben schlägt, erkannte sich das Publikum wieder – die Nachkriegsmentalität des Verdrängens, Vergessens und Relativierens fand sich in ihren Grundfesten erschüttert. Kaum eine Figur verkörpert die österreichische ‚Banalität des Bösen‘ besser als der Herr Karl, der keinen Hehl daraus macht, es sich mit zahlreichen Parteien gerichtet und nicht zuletzt bei den Judenpogromen der Nationalsozialisten mitgewirkt zu haben. Diese kleine Geschichte des Mitläufertums führt durch die österreichische Geschichte vom Justizpalastbrand 1927 über Ständestaat, Anschluss und Weltkrieg bis zum Staatsvertrag 1955 – und stets gelingt es der Figur, trotz aller Bösartigkeit die Sympathie so auf sich zu lenken, dass man sie nicht (nur) hassen kann. Der Beitrag möchte beleuchten, inwiefern Hannah Arendts Überlegungen zur ‚Banalität des Bösen‘ in Merz’ und Qualtingers Stück tatsächlich aufgehen und welche Aspekte der österreichischen Mentalitätsgeschichte darin sichtbar werden. Besonders deutlich könnte dabei die österreichische Erinnerungskultur und ihr Umgang mit den traumatischen Ereignissen zum Vorschein kommen – zumal in einer Nation, die sich bereits vor Kriegsende als erstes ‚Opfer‘ Hitlerdeutschlands zu positionieren suchte.
AB - Mit dem Herrn Karl entwarfen Carl Merz und Helmut Qualtinger 1961 ein für die österreichische Theatergeschichte einzigartiges Volksstück in seiner „kritischen, mythenzerstörenden Abart“ (Bobinac 1992). Der Skandal, den dieses einstündige Monodrama bei seiner Erstausstrahlung im österreichischen Fernsehen auslöste, war nicht zuletzt der entlarvenden Figurenzeichnung geschuldet: Im Mitläufertum, im Opportunismus und in der Wendehalsigkeit, mit der sich der titelgebende Herr Karl durch sein Leben schlägt, erkannte sich das Publikum wieder – die Nachkriegsmentalität des Verdrängens, Vergessens und Relativierens fand sich in ihren Grundfesten erschüttert. Kaum eine Figur verkörpert die österreichische ‚Banalität des Bösen‘ besser als der Herr Karl, der keinen Hehl daraus macht, es sich mit zahlreichen Parteien gerichtet und nicht zuletzt bei den Judenpogromen der Nationalsozialisten mitgewirkt zu haben. Diese kleine Geschichte des Mitläufertums führt durch die österreichische Geschichte vom Justizpalastbrand 1927 über Ständestaat, Anschluss und Weltkrieg bis zum Staatsvertrag 1955 – und stets gelingt es der Figur, trotz aller Bösartigkeit die Sympathie so auf sich zu lenken, dass man sie nicht (nur) hassen kann. Der Beitrag möchte beleuchten, inwiefern Hannah Arendts Überlegungen zur ‚Banalität des Bösen‘ in Merz’ und Qualtingers Stück tatsächlich aufgehen und welche Aspekte der österreichischen Mentalitätsgeschichte darin sichtbar werden. Besonders deutlich könnte dabei die österreichische Erinnerungskultur und ihr Umgang mit den traumatischen Ereignissen zum Vorschein kommen – zumal in einer Nation, die sich bereits vor Kriegsende als erstes ‚Opfer‘ Hitlerdeutschlands zu positionieren suchte.
U2 - 10.6092/issn.2785-3233/17001
DO - 10.6092/issn.2785-3233/17001
M3 - Artikel
SN - 2785-3233
VL - 3
SP - 87
EP - 106
JO - DIVE-IN
JF - DIVE-IN
IS - 1
ER -